Die „Buy-the-dip“ Illusion: Warum günstiges Nachkaufen scheitert

von Jannes Lorenzen
Investor, Ökonom und Gründer

13. Juli 2021

Wer frisch an der Börse ist kommt schnell auf die Idee:

„Vielleicht sollte ich nicht das tun, was alle tun… Ich sollte antizyklisch investieren!“

Schnell gibt’s Unterstützung. Langfristige Anleger, zu denen ich auch gehöre, predigen: Risiko und Schwankungen sind normal, du musst sie nur aushalten. Oder du nutzt sie aktiv und kaufst immer dann nach, wenn es günstiger wird!

Daran ist nichts falsch. Aber es entsteht ein Kult um die „Buy the dip“ Strategie, die in alles investiert, was gefallen ist. Dabei gibt es einige Probleme an dieser Strategie, die ich dir hier zeigen möchte. Konkret gibt es fünf Irrglauben und Mythen, die du kritisch hinterfragen musst und vier Wege, wie du antizyklische „Buying the dip“ Strategien tatsächlich sinnvoll nutzen kannst. Viel Spaß!

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Die 5 Irrglauben beim „günstigen Nachkaufen“

Diese fünf Irrglauben sind Tipps oder Argumente, die du immer wieder beim Investieren bekommst, dir aber meistens mehr schaden als nutzen.

#1 Auf Charts sieht alles einfach aus

Im Rückblick sind wir alle Starinvestoren und "wussten doch eigentlich genau, was passieren würde". Es sieht so einfach aus und im Nachhinein gibt es immer jemanden, der ganz logisch herleitet, warum es so kommen musste.

Leider zeigt sich bei Prognosen, gerade an den Finanzmärkten, dass die Trefferwahrscheinlichkeiten unterirdisch sind. Was im Rückblick logisch und naheliegend aussieht, ist in der Situation selbst völlig unklar und oft unintuitiv.

Antizyklisches Investieren sieht auf Charts super aus. Dann einsteigen, wenn der Kurs gefallen ist. Die Gewinner-Aktien immer dann nach kaufen, wenn sie gefallen sind.

Aber wann ist der Tiefpunkt? Bei wie vielen Aktien, die damals als "Gewinneraktien" gegolten haben, hätte es nicht funktioniert (die du aufgrund des Survivorship Bias nicht siehst)?

Abgesehen davon steigst du dann ein, wenn es weh tut. In einem Umfeld, wo die Medien tagtäglich neue Negativschlagzeilen produzieren und die Märkte 5% oder mehr an nur einem Tag fallen. Dann einzusteigen ist leichter gesagt als getan.

Buy the dip Meme

Wer sich Strategien basierend auf Charts baut oder sich antizyklisches Investieren durch Charts und Kursverläufe herleitet steht auf einem wackeligen Fundament.

#2 Du triffst nie den perfekten Zeitpunkt

Rückrechnungen, sogenannte Backtests, fördern oft scheinbar hervorragende Strategien zu Tage. Im naiven Vorgehen schaust du dir womöglich Kursverläufe an und kalkulierst, wieviel Rendite du erzielt hättest, wenn du am Tiefpunkt des Crashs 2008 investiert hättest.

Oder andere verkaufen dir "Absicherungsstrategien" mit dem Argument, wie stark der Crash 2008 war und wie gut du ihn vermieden hättest, setzen dabei aber voraus, genau den Höchstpunkt und Tiefstpunkt tagesgenau zu treffen.

Crashs vorherzusagen ist schon schwierig bis unmöglich. Das tagesgenau zu schaffen ist wirklich unmöglich.

Selbst wer große Trends erkennt, wird diese nie genau treffen und damit bspw. 10% über dem Tiefpunkt kaufen oder 10% unter dem Höchstpunkt verkaufen. Das wäre eine realistische Berechnung, die viele Strategien, die in Backtests super aussehen, hinfällig macht.

#3 Ein gefallener Kurs macht eine Aktie nicht automatisch günstiger

Eine Aktie kostet 100 Euro. Nun fällt sie um 20 Prozent. Sie kostet nun nur noch 80 Euro.

Ha! Ein Schnäppchen!

Nicht ganz.

In den meisten Fällen gibt es Ereignisse, die einen solchen Kurssturz auslösen. Die Finanztheorie sagt: Ein Unternehmen ist so viel wert wie die Summe der abgezinsten zukünftigen Cashflows (mehr hier zur Aktienbewertung).

Womöglich hat das Unternehmen eine Gewinnwarnung veröffentlicht, nach der das Gewinnwachstum von 12% auf 8% zurückgeht. Das entspricht einem Rückgang von 4 Prozentpunkten bzw. 33%.

Das mag nach einem kleinen Unterschied klingen. Wenn aber alle zukünftigen Zahlungsströme um 33% geringer ausfallen als erwartet, sollte auch der Wert um 33% fallen. Wenn der Kurs dann nur um 20% fällt, ist die Aktie im Verhältnis zum erwarteten Gewinn sogar teurer geworden.

Der Kurs allein sagt nichts darüber aus, ob eine Aktie günstig oder teuer ist. Die fundamentale Entwicklung und vor allem die Erwartungen sind entscheidend.

#4 Welcher Kurs war der richtige?

Das gleiche Beispiel entkräftigt noch eine andere, weit verbreitete Argumentation. Diese kommt paradoxerweise oft von denen, die den Unterschied zwischen Kurs (Preis) und Wert eines Unternehmens kennen und betonen.

Die Aktie fällt um 20%. Der antizyklische Anleger schaut sich die Ursachen an und kommt zu dem Schluss:

"Vor 6 Monaten stand die Aktie bei 100€. Nun wurde XY bekannt und die Aktie ist um 20% gefallen. Die Reaktion halte ich für übertrieben, in meinen Augen ist der Wert nicht um 20% gefallen."

... oder:

"Der DAX ist um 20% gefallen, dabei hat sich fundamental nichts geändert. Ich kaufe jetzt nach!"

Wo liegt hier der logische Fehlschluss?

Beide Aussagen setzen voraus, dass die Aktie vor dem Kursverlust fair bewertet war.

Dieses Phänomen beobachte ich immer wieder: Im Nachhinein gilt der Aktienkurs und damit auch der Börsenwert als fair. Er wird als Referenzpunkt herangezogen, von dem dann ausgegangen und weitere Entwicklungen beurteilt werden.

Aber eine Aktie, die 50% überbewertet ist, ist auch noch dann teuer, wenn sie um 20% fällt.

#5 Nur zu Tiefpunkten zu investieren ist eine schlechte Strategie

Nick Maggiulli von "Of Dollars and Data" hat eine spannende Kalkulation aufgestellt. Er vergleicht zwei Strategien über einen Zeitraum von 40 Jahren:

  1. Jeden Monat 100 Dollar investieren
  2. Jeden Monat 100 Dollar sparen und diese nur dann zu investieren, wenn der Markt sich in einem Tief befindet. Das Tief ist hier der Tiefpunkt zwischen zwei Allzeithochs - die natürlich niemand kennt, in dieser Strategie aber schon.

Welche Strategie schneidet besser ab?

Buy the dip vs Cost Averaging

Quelle: https://ofdollarsanddata.com/even-god-couldnt-beat-dollar-cost-averaging/

Tatsächlich in den meisten Zeiträumen die erste Strategie, bei der regelmäßig investiert wird.

Woran liegt das?

Vor allem daran, dass Geld lange ungenutzt herumliegt, wenn immer auf das nächste Tief gewartet wird. In etwa 70% der Zeit steigen Aktienkurse. Viele Anleger warten auf einen Crash, der dann aber möglicherweise immer noch über dem Kurs von vor 10 Jahren liegt.

Aus heutiger Sicht: Wer seit 2011 nicht investiert hat, weil ihm die Korrektur gefehlt hat, würde fast eine Verdreifachung verpasst haben. Wer dann nun investiert, wenn die Kurse 30% fallen, kauft immer noch teurer, als hätte er 2011, 2012 usw. einfach gekauft.

4 gute Wege um antizyklisch zu investieren

Aber das Grundprinzip des antizyklischen Investierens ist sinnvoll und regt das kritische Denken an. Wie kannst du es nun erfolgreich anwenden?

#1 Rebalancing

Einer der wichtigsten Punkte, den ich auch immer wieder in der Academy und der Videoserie betone, ist das Festlegen der eigenen Asset Allocation. Also die Frage zu beantworten: Wieviel Geld investiere ich in welche Anlageklasse? Wieviel möchte ich eher risikoreich, wieviel sicher investieren? Wieviel langfristig, wieviel kurzfristig?

Nehmen wir an, du wählst zu 70% Aktien und 30% Anleihen/Tagesgeldkonto. Sobald es zu einem Crash kommt, wird deine Aktienquote sinken (und im Falle stark steigender Kurse steigt auch die Aktienquote).

Beispiel: Du hast 70.000 Euro in Aktien investiert. 30.000 Euro auf dem Sparbuch. Der Aktienmarkt fällt um 40%. Nun hast du noch 42.000 Euro an Aktienwert und 30.000 Euro auf dem Sparbuch. Ursprünglich hattest du 70% in Aktien investiert, jetzt nur noch 58%.

Im Sinne des Rebalancings stellst du die Asset Allocation wieder her, die du dir vorgenommen hast, da sie zu dir als Anleger passt. Das heißt konkret: Du investierst in Aktien, um wieder auf deine angestrebte Aktienquote von 70% zu kommen.

Im umgekehrten Fall, wenn die Aktienmärkte stark gestiegen sind, würdest du Aktien eher verkaufen, um nicht zu stark ins Risiko zu gehen.

Das Rebalancing ist in erster Linie eine Strategie, um dein Risikoprofil möglichst konstant zu halten. Es ist ein antizyklisches Vorgehen. Renditesteigerungen können dadurch auch entstehen, sind aber nicht garantiert.

#2 Aktienquote variieren

Es gibt einige Börsenindikatoren, die eher auf steigende oder fallende Kurse hindeuten sollen. Das funktioniert nie als Garantie, sondern höchstens in der Tendenz.

Sollte es hier Indikatoren geben, denen du traust - oder wenn du beim Rebalancing im Crash-Fall einfach deine Aktienquote noch leicht über das normale Niveau erhöhen möchtest - könnte das eine legitime Möglichkeit sein.

Dabei geht es nicht um Market Timing, das fast zwangsläufig auf Dauer scheitert, sondern um minimale Anpassungen der Asset Allocation entlang der Marktphase.

Am besten liest du dir diesen Beitrag durch, in dem ich die 7 wichtigsten Indikatoren vorstelle und deren Nutzen (oder Schaden) erkläre. Mehr zum Aufbau deiner Geldanlage, Asset Allocation und dem erfolgreichen Führen deines Depots zeige ich dir hier.

#3 Kursbewegung als Signal verstehen

Gerade, wer ein Depot aus einzelnen Aktien führt, sollte sich die Aktien immer mal wieder anschauen, bewerten und die wichtigsten Aktienkennzahlen im Blick haben. Das muss - und sollte gar nicht - tagtäglich sein. Die meisten der Day-Trader scheitern und versenken nicht nur Geld, sondern viel Zeit.

Aber auch mittel- und langfristige Anleger sollten zumindest alle paar Monate einen Blick auf ihre Aktien werfen. Dabei kann ein Kursverlust eines der Ereignisse sein, die Anlass für diesen Blick geben.

Letztendlich geht es beim Kaufen einzelner Aktien um den Preis (= Aktienkurs) und den Wert. Wenn sich nichts von beidem bewegt, gibt es wenig Anlass die Aktie neu zu bewerten. Sobald eines von beidem stark ausschlägt - bspw. durch Bewegungen im Kurs und/oder fundamentale Veränderungen im Unternehmen - kann sich Preis oder Wert verändert haben.

Das heißt nicht, dass du bei einem Kursverlust blind nachkaufen solltest. Es heißt nur, dass es für dich der Anlass sein kann, dein Investment unter die Lupe zu nehmen. Wenn es dann wirklich günstiger geworden ist, dann kannst du Nachkaufen.

#4 Auf Strategien oder Segmente setzen, die aus der Mode gekommen sind

Es gibt immer wieder Strategien und Segmente, die im Trend sind und andere, die aus der Mode kommen, obwohl sie fundamental funktionieren.

In den Jahren 1999 bis 2001 etwa gab es die Dotcom-Blase: Internetunternehmen wurden gehypt, sind rasant gestiegen und danach ebenso rasant gefallen. Danach wollte erstmal niemand mehr Internetunternehmen anfassen, was sich über die letzten Jahre wieder gewandelt hat.

In der Finanzmarktkrise sind gerade Banken und Finanzunternehmen unter die Räder gekommen. Davor waren diese Lieblings der Börse. Noch heute sind sie eher unbeliebt.

Übrigens: Warum Trend-Aktien und Trend-Branchen oft enttäuschen habe ich hier beschrieben.

Auch ganze Strategien sind dann beliebt, wenn sie jahrelang funktioniert haben und dann unbeliebt, wenn sie mal nicht funktioniert haben. Beispiel: Das Value-Investing. Es galt lange als heiliger Gral, ehe es in den letzten 10 Jahren enttäuschende Renditen lieferte. Hier habe ich ausführlicher diskutiert, ob Value Investing tot ist oder womöglich nur noch attraktiver geworden ist.

Es kann also durchaus Sinn machen auch dort zu investieren, wo Wertpapiere aus der Mode gekommen sind und Hypes zu vermeiden. Auch das sind keine garantierten Gewinne, kann sich aber für langfristige, (sehr) geduldige Anleger auszahlen.

Fazit: Buying-the-dip ist klug, aber kein Allheilmittel

Ja, antizyklisch zu investieren ist für langfristige Anleger eine bessere Strategie als zyklisch zu investieren und nur blind Trends nachzukaufen. Aber nur blind in alles zu investieren, was gefallen ist, ist nicht wirklich besser.

Es geht um kluges antizyklisches Investieren. Es geht darum zu verstehen, wie Aktienmärkte wirklich funktionieren und zu verstehen, was gute und was schlechte Kaufgründe sind.

Wer ETFs kaufen und diese langfristig halten will, sollte sich über seine Asset Allocation und Rebalancing Gedanken machen. Wer auch auf einzelne Aktien setzt, sollte dann kaufen, wenn der Wert unter dem Preis liegt - was unabhängig davon der Fall oder nicht der Fall sein kann, wie sich die Aktie über die letzten Monate entwickelt hat.

Was dann zählt, ist eine fundierte und fundamentale Aktienbewertung und das Vermeiden von psychologischen Fehlern, in die uns unsere menschliche Intuition immer wieder treibt. Sowohl zyklische, als auch antizyklische Anleger.

Über den Autor


Hey, ich bin Jannes. Langfristig denkender Privatanleger, Investor, Ökonom sowie Gründer von Aktienrebell und StrategyInvest. Herzlich Willkommen also zu meiner Rebellion gegen fehlende Finanzbildung, schlechte Anlageentscheidungen und das Spiel der Finanzindustrie.

Jannes Lorenzen

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